Die Trauerrede von Friedbert Mühldorfer

Friedbert Mühldorfer

Liebe Uschi, lieber Leon,

auch wenn ihr heute nicht dabei sein könnt, gelten euch unsere Gedanken und unser Mitgefühl in besonderer Weise.

Liebe Angehörige, verehrte Anwesende, liebe Freunde!

Toleranz, Ruhe, Beständigkeit und Zuverlässigkeit ... Diese Begriffe kommen schnell, wenn sich Menschen an Peter erinnern. Was aber war das Fundament für diese Eigenschaften? Eine Antwort ist nicht leicht, weil Menschen nur einen Teil preisgeben, weil wir von außen nur einen begrenzten Blick ins Innere haben können. Was war die Grundlage? Vielleicht, weil Peter sich selbst im positiven Sinne wichtig nahm: wichtig als Mensch, weil man einfach da ist ! Das ist Rechtfertigung genug.

Und als Mensch kann man aufnehmen, was einem die Umwelt so anbietet; man kann prüfen, ruhig und gelassen. Und das war eben Peters Art, mit Signalen der Umwelt umzugehen: hören, zuhören, zuerst dem eigenen Fühlen und Denken nachspüren, nochmals warten, nochmals hören – und dann erst Antworten und Fragen für sich und andere formulieren.

Das setzt eben voraus, sich selbst ernst und auch wichtig zu nehmen, so wichtig und so ernst, dass man eben nicht meint, gleich reagieren zu müssen. Er ließ sich Zeit mit Antworten, mit Bewegung, sogar mit Mimik und Gestik, höchstens ruhig eine Zigarette drehend – zu lang für manch Ungeduldige von uns – aber das konnte Peter nichts anhaben.

Von diesem Fundament aus konnte er dann nach außen treten mit seinen Ergebnissen des Nachdenkens und Prüfens.

Und weil er tolerant mit sich selbst war, konnte er mit so großer Toleranz nach außen wirken. Er konnte die Menschen einfach zunächst so annehmen, wie sie sind, aus der festen Überzeugung heraus, dass Menschen schon was aufnehmen wollen, sich entwickeln wollen, wenn man ihnen Impulse und die notwendige Zeit gibt. An dieses Positive in seinem Menschenbild hielt sich Peter und konnte von daher besonders gut integrieren und verbindend wirken.

In diesem Sinne war Peter ein großer Optimist – obwohl ihn die Schrecklichkeiten dieser Welt schmerzten. Aber er glaubte immer an die Entwicklungsfähigkeit des einzelnen Menschen und der Menschen insgesamt. Welche Kraft das anderen geben konnte, haben die, die mit ihm zu tun hatten, immer wieder gespürt.

Das war ja auch die Grundlage seines politischen Engagements wie in der Linken, in der Friedensinitiative, in verschiedenen Arbeitskreisen und in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten. Dieses Engagement war nicht konjunkturabhängig, sondern nahm einen dauerhaften, festen Platz in seinem Leben ein.

Dieses Fundament ließ ihn dann auch mit langem Atem den mühevollen Weg vom Schreiner zum sozialen Beruf finden, in dem er eben viel weitergeben konnte von seinen Fähigkeiten im Umgang mit Menschen. Dieser lange Atem zeigte sich im Übrigen auch darin, wie bedächtig und liebevoll er zusammen mit Uschi ihr Haus in einen wirklichen Ort der Geborgenheit für die ganze Familie verwandelte.

Zu Peter gehörte aber auch seine besonderen Art des Humors: nie vordergründig, laut lachend, sondern eingestreut als trockene Bemerkung, als ironisierendes Anhängsel eigenen Redens, witzig und genau treffend. Und dabei war auch die andere Seite des oft ernsten, zurückgenommenen Peter spürbar: seine Lebenslust. In zunehmendem Alter konnte er diesen Teil auch immer stärker ausdrücken und selbstbewusst dazu stehen. Neben dem Gespräch mit den Freunden war es seine Leidenschaft für Musik und das Saxophon, das diesen lebendigen und vitalen und offenen Teil in ihm zur Geltung brachte und ausstrahlen ließ auf andere.

Dieses Fundament aus ruhiger Beobachtung, Vertrauen in den Menschen, abwartender Gelassenheit hatte aber vor allem seine Wirkung in der Erziehung der Kinder. Es war schon bewunderungswürdig, was Uschi und Peter da gemeinsam vorlebten und vermittelten. Das zeigte sich auch Außenstehenden atmosphärisch: Wenn die Kinder zuhörten beim Reden der Erwachsenen, wie die Eltern aber genauso den Kindern Raum ließen für deren Vorstellungen, welche Wertschätzung diese dabei erfuhren – freilich weit entfernt von vordergründigem Elternstolz oder unangemessener Bewunderung. Es waren einfach Bedingungen, wie man sie Kindern nur wünschen kann.

Und Sophie hat viel von Peters und Uschis Toleranz und Vertrauen aufnehmen können und das als Grundlage genommen für ihre eigene, recht kritische Nachdenklichkeit, für die eigene Zurückhaltung, für die eigenen Beobachtungen. Diese Ernsthaftigkeit war ein wichtiger Teil von Sophie, neben ihrer Lebenslust inmitten ihrer Freunde, ihren Plänen und Träumen für die Zeit nach dem Abitur

So war es dann auch Ergebnis von Sophies Entwicklung, dass sie mitmachte beim Straßentheater im Rahmen des Ostermarsches für den Frieden; es war ihre Empörung gegen die menschenverachtende Propaganda der Nazis, die sie aktiv werden ließ mit ihren Freunden und auch ihrem Bruder Leon in der Antifa-Jugend. Und es war ihre Überzeugung, als sie sich 2006 bereiterklärte, an der Gedenkfeier in Surberg für die dort ermordeten KZ-Häftlinge mitzuwirken.

Der tschechische jüdische Naziverfolgte Pavel Kohn erzählte dort von seinem Leben, erzählte davon, wie er mit 14 Jahren nach Auschwitz deportiert wurde. Und Sophie las anschließend aus dem Abschiedsbrief eines 14 jährigen Jungen, der mit den Worten beginnt:

„Wenn der Himmel Papier und alle Meere der Welt Tinte wären, könnte ich euch mein Leid und alles, was ich rings um mich sehe, nicht beschreiben.“

Sophie, damals selbst 14 Jahre alt, hat sich berühren lassen von den Empfindungen dieser Menschen, von deren Ängsten und Hoffnungen. Diese Empfänglichkeit für Leid und Ungerechtigkeit anderer war Sophies eigene Grundlage für ihr Engagement.

„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt!“ formulierten Hans und Sophie Scholl und ihre Freunde von der Weißen Rose in ihrem letzten Flugblatt vom Februar 1943.

Für Peter und Sophie war das kein Satz aus Schulbüchern oder Archiven, gültig für andere Zeiten.

Peter hat viel von den Erfahrungen und Hoffnungen von Naziverfolgten angenommen und für sein Leben nutzbar gemacht.

Und Peter hat es weitergegeben und Sophie hat es angenommen.

Dieses „Es“, jenen unzerstörbaren Kern von Menschlichkeit und Solidarität, haben sie weitergetragen.

Und so werden Peter und Sophie immer mit dabei sein, wenn sich Menschen hier bei uns weiterhin empören über Fremdenfeindlichkeit, über Ungerechtigkeit und Krieg.

Und lebendig bleiben die Gedanken an euch, die guten Bilder, die ihr mit eurem Leben in uns hinterlassen habt. Dafür danken wir und versprechen euch, uns um Uschi und Leon zu kümmern.